Am Beispiel des rohstoffreichen und fruchtbaren west afrikanischen Landes Liberia, das von zurückgekehrten amerikanischen Sklaven gegründet wurde, deren skrupel lose Machtgier jedoch zu einem zerstörerischen Bürgerkrieg führte, legt Kleffner als ehemalige Mitarbeiterin der Vereinten Nationen die Problematik der internationalen Entwicklungspolitik im Angesicht von Korruption, Misswirtschaft und Machtgier dar.
Kleffner berichtet von der liberianischen Kultur sowie von der Arbeit und vom Leben der UNO-Mitarbeiter*innen im Kriseneinsatz. Sie schreibt von befremdlichen Ereignissen und Gräueltaten des Bürgerkrieges. Es wird deutlich, wie allgegenwärtig magische Überzeugungen und Praktiken in der einheimischen Bevölkerung sind und welch starken Einfluss traditionelle Geheimgesellschaften und Freimaurertum haben.
Doris Kleffner ist es gelungen, ein Länderportrait vor uns auszubreiten, das große Sympathie für die Bevölkerung hervorruft. Gleichzeitig warnt sie eindringlich davor, die internationale Entwicklungspolitik nach Praktiken fortzuführen, die an den Bedürfnissen der Bevölkerung diametral vorbeigehen. Das ist die Lehre aus ihrem jahrzehntelangen Engagament im Rahmen von UNO-Einsätzen.
Inhalt
1. Wie man an die Pfefferküste kommt
2. Amerikanische Ex-Sklaven gründen Republik an der afrikanischen Pfefferküste
3. Ankunft im Paradies
4. Paradies und »Failed State«
5. Der Coup – ein »Game Changer«
6. Die Rebellion
7. Der Feldmarschall
8. Das Schachspiel beginnt
9. Operation Octopus
10. Rückkehr nach Liberia
11. Pfaffen, Freimaurer, Hexenmeister, Geheimbünde und Ritualmorde
12. Diamantenhändler, Goldsucher und andere Abenteurer
13. Am Rande des Abgrunds
14. Das Massaker von Harbel
15. UNOMIL – neue Hoffnung auf Frieden
16. Umzug an den falschen Ort
17. Wenn Elefanten kämpfen, leidet das Gras
18. Leben mit Checkpoints
19. Warum das mit den Projekten so schwierig ist
20. Paradiesische Idylle
21. Versuchter Coup
22. Abschied
23. Die Show geht weiter
24. General Butt Naked – Warlord und Evangelist
25. Je höher der Flug ...
26. Eine Superpower erzwingt den Frieden
27. UNMIL, die größte UNO-Friedensmission der Welt
28. Die eiserne Lady und Countdown für Taylor
29. Wiedersehen nach 13 Jahren
30. Ein neues Leben für Ex-Kämpfer?
31. Ein paar Projekte
32. Feldtrips
33. Professor Sachs – der weiße Retter
34. Das Gegenstück zu Sachs: Schwester Barbara
35. Eine ziemlich große Enttäuschung
36. Schachmatt für Charles Taylor
37. Der Fußballspieler – Liberia heute
38. Gedanken
39. Chronologie
1. Wie man an die Pfefferküste kommt
Es war für mich keine Frage, meinen guten Job in Deutschland zu kündigen und nach New York zu ziehen, wo ich durch einen Freund an einen einfachen Halbtagsjob bei den Vereinten Nationen, der UNO, kam. Das war der Anfang einer langen Reise und von seither 32 Jahren in dieser Organisation, deren Ideale ich teilte und in der ich eine Heimat fand, Seite an Seite mit Menschen aus aller Welt. Sie öffnete mir Türen in unbekannte Welten und endlose Möglichkeiten, die sich nur ergeben, wenn wir es wagen, unsere Pläne über den Haufen zu werfen, und unsere Wohlfühlzonen zu verlassen, um mit Selbstvertrauen von der Klippe ins Unbekannte springen. Ich dachte nicht an Karriere, sondern wollte lernen und erkunden, und das tun, was ich liebte. Viele Kolleginnen und Kollegen zogen einen wechselnden Dienstort vor, bei dem man die Komfortzone nicht verlassen musste, das hieß, man wechselte von New York nach Paris und von da nach Genf, das nannte man die »Elizabeth-Arden-Runde«. Ich jedoch begab mich auf die abenteuerlichere »Indiana-Jones-Runde«, mich interessierten Herausforderungen anderer Länder und Kulturen. Mich reizte die multikulturelle Umgebung, die Idee, mit Menschen aus aller Herren Länder und aus allen Lebensbereichen zu arbeiten und zu leben. Nach einem Start bei UNICEF in New York ganz unten auf der Leiter und dann als Konferenzassistentin bei der UNO-Generalversammlung 1987 landete ich in einem langweiligen Bürojob bei der UNO in Genf. Ich ließ erneut den sicheren Job hinter mir und wechselte zum UNO-Freiwilligenprogramm (UNV). Dort wurde ich 1989 »Liaison Officer« beim Welternährungsprogramm, WPF, um die Lebensmittelverteilung in den afghanischen Flüchtlingslagern in Pakistan zu überwachen. Alle Kollegen in Genf hatten mir davon abgeraten, bis auf den japanischen Vizedirektor, der mich in sein Büro rief und mir etwas sagte, das ich nie von ihm erwartet hätte: »Geh’ raus und mach’ den Job, und sogar wenn du auf eine Mine treten solltest und ein Bein verlierst, ist das immer noch besser, als hier sitzen zu bleiben!« Ich sollte diesen Mann sechs Jahre später im Süden Ruandas wiedersehen, als er mich dem ruandischen Präsidenten Kagame vorstellte und mir sagte, dass er stolz auf meinen Werdegang sei. Die »Indiana-Jones-Runde« ging von Pakistan nach Afghanistan, wo ich in Kabul Leiterin des UNO-Freiwilligenprogramms wurde – in einem Land, in dem die Russen einmarschiert waren, um die Kommunisten unter Präsident Najibullah zu unterstützen, und die Mujaheddin, unterstützt vom Westen, heftigen Widerstand leisteten. Drei Millionen Afghanen waren ins benachbarte Pakistan geflohen. Als ich ankam, waren die Russen gerade abgezogen. Für mich wurden es zwei lohnende Jahre in diesem wundervollen Land, bis die Mujaheddin 1992 Kabul überrannten. Der UNO-Sondergesandte fuhr den Präsidenten mit seinem Wagen zum Flughafen, wo eine Maschine ihn ins Exil nach Indien bringen sollte. Die Mujaheddin aber waren schneller und versperrten ihnen die Straße, konnten ihn jedoch auch nicht verhaften, da er in einem UNO-Fahrzeug saß. Somit flüchtete er in das UNO-Büro in Kabul, wo er vier Jahre lang Schutz suchte, bis ihn die Taliban gewaltsam herausholten und an einem Laternenpfosten aufhängten. Wir wurden damals sofort nach Neu Delhi, Indien, evakuiert, denn die Mujaheddin-Anführer fingen an, sich gegenseitig die Macht streitig zu machen. Pakistan, der Iran, Usbekistan und Saudi-Arabien bewaffneten ihre Interessengruppen, um ihre Kontrolle über Afghanistan geltend zu machen. Da saßen wir nun alle in Neu Delhi im Hotel und verfolgten die Situation in Kabul jeden Tag über BBC und CNN. Niemand wusste, was passieren würde, und uns wurde geraten, erstmal Urlaub zu nehmen. Mein Vertrag ging sowieso seinem Ende zu. Nach weiteren Tagen des vergeblichen Wartens auf eine Beruhigung der Situation in Kabul schwand die Hoffnung auf eine baldige Rückkehr nach Afghanistan. Ich flog nach Deutschland. Jetzt saß ich also in Deutschland im Hause meiner Eltern in einem kleinen Dorf in Ostwestfalen und war auf der Suche nach einem neuen Job. Die Evakuierung hatte mich von heute auf morgen aus meinem Umfeld, meinem Leben, meiner Arbeit und aus meinen Freundeskreis herauskatapultiert. Doch ein anderer Job als bei der UNO kam überhaupt nicht in Frage. Als meine Mutter schon verzweifelte, weil die Menschen im Dorf denken könnten, dass ich arbeitslos sei, kam ein Anruf meines früheren Chefs in Kabul. Mein Vater nahm den Anruf entgegen und grummelte etwas in den Hörer. Als er immer wieder schrie: »Wer ist da?«, und nichts zu verstehen schien, hatte ich eine Ahnung, dass der Anruf für mich sein könnte. Der Anruf kam aus Monrovia, Liberia, wo mein früherer Chef inzwischen Repräsentant des UNDP war. Er fragte, ob ich wieder als Leiterin des UNV-Büros arbeiten wolle, allerdings herrsche dort ebenfalls ein Bürgerkrieg. Liberia! Wer kennt schon Liberia! Meine Intuition sagte mir, dass das genau das Richtige war, und ich sagte begeistert zu. Dann schaute ich im Atlas und im Lexikon nach, denn, man kann es sich kaum vorstellen, man lebte damals noch ohne Google. Den Küstenstreifen, an dem die Hauptstadt Monrovia lag, nannte man früher die Pfefferküste, denn dort wuchs wirklich der Pfeffer. Sumpfig und heiß sollte es dort sein, Malariagebiet. Was war das für ein Bürgerkrieg? Den Bürgerkrieg konnte das Lexikon zwar nicht erklären, aber die Geschichte des Landes war sehr ungewöhnlich.
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